In unserem letzten Beitrag ( Corona-Hilfsfonds – Zuschüsse ersetzen Zinsminderung nicht (immobilienrecht-klagenfurt.at) haben wir bereits erwähnt, dass der Oberste Gerichtshof (OGH) schon im Jahr 1915 Stellung zur nun aufgrund der Pandemie im Bestandsrecht wieder problematischen Thematik rund um die Anwendung der §§ 1104f ABGB bezogen hat. Doch sind diese Ausführungen gegenwärtig noch eins zu eins auf die heutigen Verhältnisse anwendbar?

Heute ist vieles anders

Zweifellos hat sich die Immobilienwirtschaft in den vergangenen 100 Jahren massiv verändert. Heutzutage stellt der Handel mit Immobilien eine eigene, stark boomende Erwerbsquelle dar und kann insofern als ein für sich selbst stehendes, „eigenes Gewerbe“ angesehen werden. Derzeit werden auf dem Immobilienmarkt in wachsender Zahl günstige Lagerflächen zum Mieten zur Verfügung gestellt. Allein durch die Möglichkeit, Fahrnisse gegen ein aliquotes Entgelt in der in Bestand genommenen Geschäftsräumlichkeit belassen zu können, entsteht dem Bestandnehmer jedoch keineswegs ein adäquater wirtschaftlicher Vorteil. Aus Sicht des Bestandgebers ist dann die Inbestandgabe selbst schon ein eigener Geschäftszweck geworden.

Nicht nur der Immobilienmarkt, sondern auch das Leben selbst hat sich in den vergangenen 100 Jahren stark verändert. Diesen geänderten Umständen muss beim Verständnis einer Norm Rechnung getragen werden. Rein rechtstheoretisch gesehen mag die Vertragsgrundlage, nämlich die Inbestandgabe von Immobilien, als solche die gleiche geblieben sein. Das gesamte soziale Umfeld jedoch, in dem die Inbestandgabe nunmehr stattfindet und die damit verbundene Erwartungshaltung der jeweiligen Vertragsparteien sind aber nicht mehr mit damals vergleichbar. Es muss bei der Rechtsbetrachtung daher richtigerweise an die gegenwärtige soziopolitische Situation angeknüpft und auf die konkreten Auswirkungen, die die gesetzlichen Anordnungen auf eben diese haben, abgestellt werden.

Rechtsprechung von damals nicht mehr ganz zeitgemäß

Natürlich gab es auch schon früher Seuchen und es ist Aufgabe des Staates, die Entstehung und Verbreitung übertragbarer Krankheiten möglichst zu verhindern. Im Wesentlichen geschieht das durch Gesetze. Die aus dem Plenissimarbeschluss von 1915 abgeleitete Sphärenzurechnung des OGH greift aber eventuell zu kurz. Denn im Beschluss selbst wird klar darauf hingewiesen, dass ein außerordentlicher Zufall (§ 1104 ABGB) dazu führt, dass das Bestandobjekt auch für einen Dritten unbenutzbar wird. Genau das trifft in casu aber zu. Ist das Bestandobjekt, etwa für einen Arzt, nur mehr bedingt tauglich, so gilt dies selbstverständlich auch für alle anderen im Rahmen eines Bürobetriebes tätigen Unternehmer, wie Rechtsanwälte oder Steuerberater. Außerdem ist zu bedenken, dass die Intensität der medialen Berichterstattung im Jahr 1915 nicht mit der heutigen vergleichbar ist. Nur dadurch war und ist es derzeit möglich, die Menschen davon abzuhalten, Dienstleistungsbetriebe aufzusuchen.

Vor Ausbruch der Krise konnte niemand, der einen entsprechenden Bestandvertrag über ein gewerbliches Bestandobjekt abgeschlossen hatte, damit rechnen, dass der Gesetzgeber einmal vor dem Besuch eines solchen Betriebes warnen und von diesem nicht nur abraten, sondern diesen sogar verbieten würde. In eben dieser Fallkonstellation ist über das Argument des Wegfalles der Geschäftsgrundlage (Wegfall der Geschäftsgrundlage iZm COVID-19 in Österreich (immobilienrecht-klagenfurt.at) letztlich dasselbe Ergebnis zu erzielen, wie es die uneingeschränkte Anwendung §§ 1104f ABGB zeitigt (Gefahrtragung im Bestandsrecht in Zusammenhang mit COVID-19 (immobilienrecht-klagenfurt.at). Hinzu kommt darüber hinaus auch noch ein denkbarer Anspruch durch Unterstützungsleistungen (Corona-Hilfsfonds – Zuschüsse ersetzen Zinsminderung nicht (immobilienrecht-klagenfurt.at) zugunsten des Bestandgebers.

Fazit: Die Argumentation des OGH aus dem Jahr 1915 kann heute hilfreich sein, wenn es darum geht, Lösungen für die Corona-bedingte Problematik im Mietrecht zu finden. Die daraus abgeleitete Sphärentheorie ermöglicht eine differenzierte Beurteilung verschiedener Fälle im Bestandsrecht. Doch die Gesellschaft und damit auch der Immobilienmarkt haben sich massiv weiterentwickelt. Es ist daher Vorsicht bei der Auslegung „älterer“ Rechtsprechung geboten, denn neue Umstände erfordern es stets, dass Rechtsnormen auch „eingebettet“ in aktuelle soziale und gesellschaftspolitische Gegebenheiten gelesen werden.

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